Vorfastenzeit: Tut Buße!

Quelle: Distrikt Deutschland

Pater Gerd Heumesser

Buße, Fasten, Verzicht, Abtötung, Selbstdisziplin gelten heute oft als altmodisch, nicht mehr zeitgemäß: Im Mittelalter hätten die Christen gemeint, sie müssten Buße tun, heute hätten wir diese Form des Christentums längst hinter uns gelassen. So denkt die Mehrheit der noch verbliebenen Christen hier im Land.

Herr seiner selbst sein

Dabei gibt es viele zeitlos gültige Argumente, die für Buße, Verzicht und Abtötung sprechen, und zwar nicht nur religiöse Argumente. In unserer heutigen Wohlstandsgesellschaft ist der freiwillige Verzicht notwendig, um Herr zu bleiben über die eigenen Neigungen und Wünsche. In einer Umgebung, in der alle Wünsche leicht und schnell erfüllt und alle Begierden befriedigt werden können, ist es unmöglich, Herr zu bleiben über die Neigungen und Wünsche, wenn man nicht bewusst auf Wünsche verzichtet und Neigungen diszipliniert. Wer allen Neigungen folgt, wird bald Knecht seiner Neigungen sein und nicht mehr ihr Herr. Für die christlichen Denker aber steht fest: Freiheit bedeutet, Herr zu sein über seine Neigungen. So trägt Verzicht und Disziplin dazu bei, innerlich frei zu werden und Herr zu sein über sich selbst. Darum sprechen selbst nichtchristliche zeitgenössische Autoren vom „Glück der Selbstüberwindung.“[1]

Heilmittel für die Sünden

Vom christlichen Standpunkt aus lässt sich dem noch einiges hinzufügen. Die Kirchenväter sahen in der Buße das Heilmittel für die Sünden. Wer sündigt, wird durch die Sünde verwundet. Durch die Buße werden diese Wunden geheilt. Der hl. Gregor der Große († 604) schreibt in seiner Pastoralregel: „Gott hat keine Freude an unserm Leid, er heilt vielmehr unsere Sündenkrankheit durch entgegengesetzte Heilmittel. Wenn wir uns also in sinnlicher Lust von ihm entfernt haben, müssen wir unter bitteren Tränen zu ihm zurückkehren; und wenn wir gefallen sind, indem wir in unerlaubten Dingen nachgaben, so müssen wir aufstehen, indem wir uns auch im Erlaubten enthalten. Das Herz, das törichte Freude berauscht hatte, muss durch heilsame Trauer ernüchtert werden; und das stolze Selbstüberhebung verwundet hatte, muss ein demütiges, zurückgezogenes Leben heilen.“[2]

Der hl. Johannes Chrysostomus († 407) vergleicht die Sünde mit einem Pfeil, der eine Wunde zugefügt hat: „Um gesund zu werden, ist es ja auch nicht genug, bloß den Pfeil herauszuziehen, wir müssen auch Heilmittel auf die Wunde legen. Hast du bisher in Fraß und Völlerei gelebt? Faste hinfort und trinke Wasser, damit du das Unheil, das du früher angerichtet, beseitigst.“ Und das gilt nicht nur vom Übermaß im Essen, das gilt in allen Bereichen: „Hast du fremdes Gut gestohlen? Gib in Zukunft auch von deinem Eigenen! Hast du lange in Unzucht gelebt? Enthalte dich an den festgesetzten Tagen selbst deiner eigenen Frau; übe dich in der Enthaltsamkeit! Hast du Leute, die an dir vorübergingen, beschimpft und geschlagen? Nun, so lobe in Zukunft diejenigen, die dich beschimpfen, und tu Gutes denen, die dich schlagen.“[3] Heute muss man hinzufügen: Hast du zu viel Zeit mit den neuesten Nachrichten verbracht? Dann verzichte einmal vier Wochen ganz auf elektronische Nachrichten. Hast du Zeit in den sozialen Medien vergeudet? Dann klinke dich für einige Zeit aus.

Kurz gesagt: Jede Sünde hat unsere schlechten Neigungen stärker gemacht. Durch Bußwerke werden die schlechten Neigungen zurückgedrängt, also geheilt.

Hilfsmittel für das Wachsen in der Liebe

Buße und Verzicht heilen aber nicht nur, sie bringen uns im religiösen Leben auch voran. Das Ziel des christlichen Lebens ist die Liebe zu Gott. Das Hauptgebot verlangt sie von uns: „Du sollst den Herrn, deinen Gott lieben aus ganzem Herzen…“ Unser Herz kann aber nicht unbegrenzt lieben, seine Liebesfähigkeit hat Grenzen. Die Liebe, die wir den Geschöpfen schenken, können wir Gott nicht mehr geben. Wenn wir danach streben, Gott mit ganzem Herzen zu lieben, bleibt uns kein anderer Weg, als den Geschöpfen weniger Liebe zu schenken, unser Herz von ihnen abzuwenden, also auf ihren Genuss zu verzichten. Der Verzicht auf manche Bequemlichkeit und auf Vergnügen kann uns also helfen, in der Liebe zu Gott zu wachsen, und umgekehrt macht es die wachsende Gottesliebe leichter, auf Bequemlichkeiten und Vergnügen zu verzichten.

Der hl. Augustinus († 430) sagt in einer Predigt: „Ach, wenn mein Wort in euren Herzen auch nur ein Fünkchen jener selbstlosen Liebe zu Gott findet, gebt ihm dann Nahrung. Spornt euch selbst an, es durch Gebet zu schüren, durch Demut, durch mühselige Buße, durch Liebe zur Gerechtigkeit, durch gute Werke, aufrichtiges Seufzen, durch löblichen Wandel und treue Freundschaft. Dieses Fünklein der wahren Liebe, facht es an, gebt ihm Brennstoff in eurem Innern: Denn wenn es einmal größer geworden ist und zu einer mächtigen, lichterlohen Flamme aufschießt, verzehrt es das ganze Heu der fleischlichen Begierden!“[4]

Wiedergutmachung für die Sünden

Ein weiteres Argument, das für die Buße spricht, ist die Wiedergutmachung der Sünden. Wer sündigt, zieht irgendein Geschöpf Gott vor: eine Bequemlichkeit, ein Vergnügen, Besitz, Ansehen, Macht. Das ist ein Unrecht, denn Gott ist der Herr, dem wir nichts vorziehen dürfen. Gott verschließt vor diesem Unrecht nicht einfach die Augen, er ignoriert es nicht einfach, sondern er will, dass es wieder in Ordnung kommt. Er verlangt, dass das Unrecht wiedergutgemacht wird.

Diese Wiedergutmachung kann auf zwei unterschiedliche Weisen geschehen: entweder durch Bußwerke oder indem Gott uns straft. Sowohl selbstauferlegte Buße als auch Strafe, die Gott über uns verhängt, sind das Gegenteil der Sünde und gleichen sie aus. Wer sündigt, zieht etwas, das ihm jetzt angenehm ist, dem Willen Gottes vor. Wer Buße tut, verzichtet auf etwas Angenehmes oder nimmt etwas Unangenehmes auf sich. Sein Eigenwille würde zum Angenehmeren neigen, aber er nimmt das Bußwerk auf sich. Ähnlich ist es bei dem, der eine Strafe erträgt. Auch er trägt etwas Unangenehmes gegen seinen eigenen Willen.

Durch die Buße können wir also verhindern, dass Gott uns straft, oder wenigstens die Strafe abmildern. Der hl. Augustinus formuliert es treffend: „Die Sünde nämlich, meine Brüder, kann nicht ungestraft bleiben. Es wäre ungerecht, wenn sie ungestraft bliebe, also muss sie ohne Zweifel bestraft werden. Dein Gott sagt zu dir: »Die Sünde muss bestraft werden, entweder durch dich oder durch mich.« Die Sünde wird entweder durch den Menschen selber bestraft, wenn er Buße tut, oder von Gott, wenn er richtet. Entweder ziehst du dir selbst die Strafe zu, wenn du nicht selber etwas tust, oder Gott straft sie gemeinsam mit dir zusammen. Denn was ist die Buße anderes als der Zorn gegen sich selbst? Wer Buße tut, zürnt sich selbst. Wenn dein Schlagen an die Brust nicht aus Heuchelei geschieht: Was soll das sonst bedeuten? Warum schlägst du, wenn du nicht zürnst? Wenn du also deine Brust schlägst, zürnst du deinem Herzen, damit du deinem Gott Wiedergutmachung leistest.“[5]

Anmerkungen

[1]Bueb, Bernhard: Lob der Disziplin, S. 44

[2]Pastoralregel 3, 30 (Übersetzung BKV)

[3]Matthäus Kommentar 10, 6 (Übersetzung BKV)

[4]Sermo 178,10 (Übersetzung aus: Van der Meer: Augustinus,der Seelsorger S. 414)

[5]Sermo 19,2