Privatoffenbarungen – Segen oder Gefahr? - Teil 2

Quelle: Distrikt Deutschland

Von 

Pater Gerd Heumesser

Angebliche himmlische Botschaften gibt es viele. Welche Kennzeichen können helfen, die echten von den unechten zu unterscheiden?

Merkmale unechter Botschaften

Die Heilige Kongregation für die Glaubenslehre hat am 25. Februar 1978 die „Normen für das Verfahren zur Beurteilung mutmaßlicher Erscheinungen und Offenbarungen“[1] herausgegeben. Darin werden als Kriterien, die gegen die Echtheit sprechen, unter anderen genannt: „Lehrmäßige Irrtümer, die Gott, Maria oder einem Heiligen zugeschrieben werden.“

Zum Beispiel gibt sich die Erscheinung in Amsterdam aus als die „Frau, die einst Maria war“, und auf Rückfrage der Seherin antwortet sie: „‚Die einst Maria war‘ bedeutet: Viele Menschen haben Maria als Maria gekannt. Nun aber will ich in diesem neuen Zeitabschnitt, der anbricht, die Frau aller Völker sein.“[2] Die Kirchenväter sagen von Anfang an, dass Maria, die „neue Eva“ (hl. Justin *100,+165, hl. Irenäus *135,+200) ist und Mutter aller Lebendigen, nicht erst jetzt in einem neuen Zeitabschnitt.

Außerdem behauptet die Erscheinung in Amsterdam, sie habe mit ihrem Sohn unter dem Kreuz nicht nur seelisch, sondern auch körperlich gelitten[3], und lässt ein Bild verbreiten, wo die „Frau aller Völker“ nicht wie gewohnt unter dem Kreuz, sondern vor dem Kreuz steht und deren beide Hände von einer Wunde durchbohrt sind.[4] Die Kirche hat nie gelehrt, dass Maria körperlich mit Christus mitgelitten hat.

Als weiteres Kriterium einer unechten Botschaft nennt die Kongregation für die Glaubenslehre einen „offensichtlichen Tatsachenirrtum“.

Die Erscheinung in Amsterdam zum Beispiel prophezeit zuerst, dass Pius XII. das von ihr gewünschte Dogma (mit den drei Titeln „Miterlöserin“, „Mittlerin“, „Fürsprecherin“) verkünden würde, dann dass sein Nachfolger es verkünden würde. Beides traf nicht zu. Im April 1954 kündigte die „Frau“ an, „zum letzten Mal“ „über dieses Dogma“ zu sprechen[5]. Tatsächlich sprach die Erscheinung noch jahrelang darüber.

Solche Irrtümer, die nicht nur der Seherin unterlaufen sind, sondern ausdrücklich der Erscheinung zugeschrieben werden, sind ein sicheres Kriterium für die Unechtheit.

Merkmal echter Botschaften

Die hl. Theresia von Avila sah Christus in verschiedenen Visionen und hörte, wie seine Stimme zu ihr sprach, und sie fürchtete, dass all das nur Täuschungen sein könnte. Ihr war klar, dass man erkennen muss, ob solche Ansprachen „vom guten oder vom bösen herrühren, oder ob sie, was wohl auch vorkommen könnte, eine bloße Einbildung des Verstandes sind und also der eigene Geist sich selbst anredet.“[6]  Wenn sie darüber schreibt, dass der Herr zu ihr spricht, weist sie immer wieder darauf hin, dass man „sehr behutsam“ sein muss, da man bei Visionen und Offenbarungen leicht betrogen werden kann[7]. Auf solche oder ähnliche Worte stößt man bei ihr immer wieder: „Oft begegnete es mir, dass mir ein Zweifel kam und ich das, was mir gesagt wurde, nicht glaubte, sondern dachte, es möchte meinerseits etwa eine Täuschung obwalten.“[8] „Fast drei Jahre lang widerstand ich seinen Ansprachen, da ich in großer Furcht war, getäuscht zu werden; und auch jetzt noch versuche ich es zuweilen, aber immer vergebens.“[9]

Weil ihr diese Gefahr der Täuschung so klar vor Augen steht, betet sie selbst und lässt andere beten, dass der Herr aufhöre, so innerlich zu ihr zu reden: „Ich selbst richtete all mein Gebet dahin, dass die göttliche Majestät mich einen anderen Weg führen wolle, und ersuchte alle frommen Diener Gottes, die ich kannte, in dieser Meinung für mich zu beten. Zwei Jahre mögen es gewesen sein, während der ich unablässig den Herrn so mit Bitten bestürmte.“[10]

Wie hat sie das Problem gelöst? Anhand von welchen Kriterien hat diese heilige Kirchenlehrerin entschieden, ob eine Botschaft vom Herrn stammt oder aus der eigenen Einbildung? Sie arbeitet in ihren Schriften verschiedene Merkmale heraus, mit deren Hilfe man erkennen kann, ob ein Wort von Gott kommt. Eines dieser Merkmale beschreibt sie so: Wenn eine Seele so zerstreut ist, dass sie „unmöglich auch nur einen einzigen ordentlichen Satz bilden könnte“, und trotzdem wichtige und erhabenen Wahrheiten vernimmt, „die sie selbst auch bei großer Sammlung nicht hätte ersinnen können“, dann spricht mit großer Wahrscheinlichkeit Gott zu ihr.[11] Wenn das, was die Seele vernimmt, ganz außerhalb ihres Horizontes liegt, dann stammt es nicht aus ihrer eigenen Einbildungskraft. Die Worte, die Gott zu einer Seele spricht, „betreffen Dinge, die, wie schon gesagt, bis dahin unserem Gedächtnisse ganz fremd waren, und es werden durch sie mit der größten Schnelligkeit große und erhabene Wahrheiten ausgesprochen, wozu wir selbst lange Zeit gebraucht hätten; wir müssen also da meines Erachtens notwendigerweise einsehen, dass diese Worte kein Erzeugnis unseres eigenen Verstandes sind.“[12]

Ganz ähnlich äußert sie sich in ihrer „Seelenburg“: „Oft aber betreffen solche Ansprachen Dinge, an deren Existenz oder Wirklichkeit man gar nie gedacht hat. Solche Dinge konnte doch wohl die Einbildungskraft nicht erfunden haben, damit die Seele sich selbst durch Vorspiegelung einer Sache täusche, die sie noch gar nie verlangt oder gewollt oder auch nur gekannt hatte.“[13]

Lourdes

Botschaften, die die Kirche als echt anerkannt hat, tragen dieses Merkmal an sich. In Lourdes beispielsweise fragte die hl. Bernadette die Erscheinung nach ihrem Namen. So hatte es der Pfarrer ihr befohlen. Bernadette erhielt die Antwort: „Ich bin die Unbefleckte Empfängnis.“ J.B. Estrade, ein Augenzeuge, erzählt, wie Bernadette ihm selbst und seiner Schwester die Antwort der Erscheinung berichtete. Bernadette war dabei nicht imstande, das Wort „Conception“ („Empfängnis“) richtig auszusprechen und wusste nicht, was die Worte bedeuteten. Mit einer geradezu verblüffenden Naivität habe Bernadette seine Schwester gefragt: „Aber Fräulein, was sollen die Worte heißen: Ich bin die Unbefleckte Empfängnis?“[14] „Die Unbefleckte Empfängnis“ überstieg also klar den Horizont der Seherin Bernadette. Sie wusste nicht, was das bedeutet, das war ihrem Gedächtnis fremd, an eine solche Sache hatte sie gar nie gedacht.

Sievernich

Wendet man dieses Merkmal auf die Botschaften von Sievernich an, dann wird man vergeblich nach Wahrheiten suchen, die eine gläubige Katholikin „auch bei großer Sammlung nicht hätte ersinnen können“. Man findet hier keine Sprüche, die dem „Gedächtnisse [der Seherin] ganz fremd waren“, keine Dinge, „an deren Existenz oder Wirklichkeit“ die Seherin „gar nie gedacht hat“. Man findet nichts, was den Horizont einer gläubigen Christin übersteigt.

Ein Beispiel soll genügen: Am 7. Mai 2001 soll die „Mutter Gottes“ gesagt haben: „Mein geliebter Hirte in Rom versucht, die Menschen zu einen. Ich habe ihn auf diese Reise geschickt. Später werdet ihr, liebe Kinder, dies verstehen. Dann, wenn er nicht mehr unter euch sein wird. Die Finsternis wettert gegen ihn, weil er ganz in mir ist und in meinem Sohne.“

Mit „dieser Reise“ ist offensichtlich die Reise Papst Johannes Pauls II. vom 5. bis 9. Mai 2001 gemeint. Der Papst reiste nach Griechenland, Syrien und Malta. Diese Reise war ein Beispiel für einen krassen Ökumenismus und den interreligiösen Dialog: Papst Johannes Paul II. gab eine gemeinsame Erklärung mit dem orthodoxen Patriarchen heraus, besuchte die Omaijadenmoschee in Damaskus und sagte dort: „Mein tiefer Wunsch ist, dass unser heutiges Treffen in der Omaijadenmoschee unsere Entschlossenheit zur Weiterentwicklung des interreligiösen Dialogs zwischen der katholischen Kirche und dem Islam zum Ausdruck bringen wird.“ Auf diese Reise soll ihn die Mutter Gottes geschickt haben? Handelt so jemand, von dem die Mutter Gottes sagt. „Er ist ganz in mir“? Was hier die Mutter Gottes gesagt haben soll, klingt eher wie der hilflose Versuch einer einigermaßen konservativen Katholikin, das Verhalten des Papstes zu erklären.

Leichtgläubigkeit schadet

Aus all dem wird klar, dass man Privatoffenbarungen nicht leicht Glauben schenken kann. Selbst wenn sie nicht vom Teufel sind, ist damit noch nicht gesagt, dass sie vom Himmel stammen. Sie können leicht aus der Einbildungskraft des Visionärs entstehen, und selbst wenn jemand echte himmlische Visionen hat, ist noch nicht sichergestellt, dass alles, was er sagt, vom Himmel stammt.

Darum muss es als Regel gelten, dass man einer angeblichen Erscheinung erst dann Glauben schenken darf, wenn sie geprüft und von der Kirche für echt befunden wurde. Glauben heißt, etwas wahr zu halten, weil eine glaubwürdige Person es bezeugt. Nur dann ist es vernünftig zu glauben. Etwas für wahr zu halten, was schlecht bezeugt ist, ist unvernünftig.

Wenn der Himmel will, dass wir an eine seiner Botschaften glauben, ist es für den Himmel eine kleine Sache, den himmlischen Ursprung einer Botschaft durch ein Wunder zu bekräftigen. In Lourdes zeigen die vielen Heilungen, dass es vernünftig ist, an den himmlischen Ursprung zu glauben. In Fatima war das Sonnenwunder das Zeichen, dass diese Botschaft vom Himmel stammt.

Aber, könnte man einwenden, was wäre den verloren, wenn man einer Botschaft folgt, die zwar der Einbildungskraft einer frommen Frau entspringt, aber keine offensichtlichen Irrlehren enthält? – Sehr viel wäre dadurch verloren, nämlich die Glaubwürdigkeit der Christen! Die Christen sind dazu berufen, Zeugen Christi zu sein, seine Botschaft in der Welt zu verkünden.

Für die heutigen Menschen ist es schon schwer genug, an einen gekreuzigten Gottessohn zu glauben. Darum dürfen die Christen bei den Ungläubigen nicht den Eindruck erwecken, als würden sie sowieso leichtfertig und ungeprüft alles glauben. Die Christen, die alles für glaubwürdig halten, was sich als himmlische Botschaft ausgibt, geben den Ungläubigen scheinbar ein Recht, den Glauben abzulehnen. Wer so leichtgläubig ist, einer Möchtegern-Seherin nachzulaufen, glaubt in den Augen der Ungläubigen natürlich auch an die Jungfrauengeburt und die Auferstehung Christi.

So kann die Leichtgläubigkeit der Christen zu einem willkommenen Vorwand werden, den Christlichen Glauben als unglaubwürdig abzulehnen.

Die von der Kirche anerkannten Privatoffenbarungen sind also ein echter großer Segen. Nicht weniger groß ist aber die Gefahr, in die man gerät, wenn man ohne echte Prüfung angeblichen himmlischen Botschaften folgt.

 

Anmerkungen

[1]https://www.vatican.va/roman_curia/congregations/cfaith/documents/rc_con... – 17.06.2023

[2]Botschaft vom 2. Juli 1951

[3]Botschaft vom 1. April 1951

[4]Botschaft vom 4. März 1951 und 31. Mai 1951

[5]Botschaft vom 4. April 1954

[6]Theresia von Avila: Leben 25.2

[7]Vgl. Leben 25.10

[8]Leben 25.6

[9]Leben 25.1, siehe auch 25.10

[10]Leben 25.14, vgl. 27.1

[11]Leben 25.4

[12]Leben 25.5

[13]Theresia von Avila: Seelenburg, Sechste Wohnung, 3,13

[14]J.B. Estrade: Bernadette, die Begnadete von Lourdes, Trier 1958, S.112

[1]https://www.vatican.va/roman_curia/congregations/cfaith/documents/rc_con... – 17.06.2023

[2]Botschaft vom 2. Juli 1951

[3]Botschaft vom 1. April 1951

[4]Botschaft vom 4. März 1951 und 31. Mai 1951

[5]Botschaft vom 4. April 1954

[6]Theresia von Avila: Leben 25.2

[7]Vgl. Leben 25.10

[8]Leben 25.6

[9]Leben 25.1, siehe auch 25.10

[10]Leben 25.14, vgl. 27.1

[11]Leben 25.4

[12]Leben 25.5

[13]Theresia von Avila: Seelenburg, Sechste Wohnung, 3,13

[14]J.B. Estrade: Bernadette, die Begnadete von Lourdes, Trier 1958, S.112