Legt Papst Franziskus Hand an den Zölibat?

Quelle: Distrikt Deutschland

Wie schon bei der Rückkehr vom Weltjugendtag in Rio gab Papst Franziskus beim Rückflug aus dem Hl. Land nach Rom eine Pressekonferenz.

Dabei nahm der Papst auch zur Frage des Zölibats wie folgt Stellung: „Die katholische Kirche hat verheiratete Priester im orientalischen Ritus. Der Zölibat ist kein Glaubensdogma. Es ist eine Lebensregel, die ich sehr schätze und von der ich glaube, daß sie ein Geschenk für die Kirche ist. Da es sich aber um kein Glaubensdogma handelt, ist die Tür offen."

Wenn „die Tür offen ist", dann ist für Papst Franziskus der Zölibat ein kirchliches Disziplinargesetz, das man ändern kann. Eine Lebensregel, die ein Geschenk für die Kirche ist, kann man auch auf freiwilliger Basis leben. Es sprechen indes gewichtige Gründe dafür, daß der Zölibat nicht nur eine Lebensregel, sondern eine auf apostolischer Tradition beruhende Verpflichtung ist.

Wir können auf die Aussagen der Vorgänger von Papst Franziskus zu patristischer Zeit verweisen. Papst Siricius gab auf Anfrage 385 den Bescheid, daß Priester und Diakone, die Kinder zeugen, gegen ein unauflösliches Gesetz handeln, daß die höheren Kleriker von Anfang der Kirche an binde. Die Berufung auf das Alte Testament sei hinfällig, da die Kleriker im Neuen Testament täglich den heiligen Dienst verrichten müssen und daher ständig enthaltsam leben müssten (DH 185).[i] Auf eine Anfrage der Bischöfe Galliens fand unter Innozenz I. (401-417) eine römische Synode statt, deren Ergebnisse in einem Schreiben mitgeteilt wurden. Dort heißt es: „In erster Linie ist festgesetzt worden bezüglich der Bischöfe, Priester und Diakone, die an den göttlichen Opfern teilnehmen müssen, durch deren Hände die Gnade der Taufe mitgeteilt und der Leib Christi dargebracht wird, daß nicht nur wir sie zur Keuschheit zwingen, sondern die göttliche Schrift, und daß ihnen auch die Väter befohlen haben, die körperliche Enthaltsamkeit zu üben." Zuwiderhandelnden dürfe das Mysterium Gottes nicht anvertraut werden.[ii]

Bereits ganz zu Anfang des 4. Jh. wurde die Synode von Elvira - offenbar angesichts von Missbräuchen - zu folgender Klarstellung bewegt: Es wurde beschlossen, den Bischöfen, Priestern und Diakonen sowie allen Klerikern, die den Dienst versehen, folgendes Verbot aufzuerlegen: Sie sollen sich von ihren Ehefrauen enthalten und keine Kinder zeugen: jeder aber, der [es] tut, soll aus der Ehrenstellung des Klerikers verjagt werden." (DH 119).

Auch die Afrikanischen Synode von 390 (oder Synode von Karthago) verpflichtete die Bischöfe, Priester und Diakone zur vollkommenen Bewahrung der Keuschheit. Man berief sich auf die Apostellehre und die alte Tradition. Grund ist der Altardienst. Diese Bestimmung wurde 419 unter Beistimmung eines päpstlichen Legaten feierlich erneuert.[iii]

Papst Leo der Große (440-461) schrieb: „Das Gesetz der Enthaltsamkeit ist das gleiche für die Altardiener (Diakone) wie für die Bischöfe und Priester. Als sie noch Laien waren oder Lektoren, konnten sie erlaubterweise heiraten und Kinder zeugen. Sobald sie aber zu den genannten Graden aufstiegen, begann für sie nicht mehr erlaubt zu sein, was früher erlaubt war" (Brief an Bischof Rusticus v. Narbonne; PL 54,1199).

Der Zölibat bringt eine zweifache Verpflichtung mit sich: Nicht zu heiraten und eine eventuell vor der Weihe geschlossene Ehe nicht mehr zu gebrauchen. Diese Bestimmungen erscheinen nirgends als Neuerung. Man beruft sich beständig auf die Hl. Schrift und die Tradition.

Christus spricht Mt 19,12 davon, daß es solche gibt, die „um des Himmelreiches willen" auf die Ehe verzichten, wobei er auffordert: „Wer es fassen kann, der fasse es!"

Dazu sind die Worte des hl. Paulus 1 Kor 7,32 anzuführen, nur der Unverheiratete sei der ungeteilten Hingabe an den Herrn fähig. Diese Worte haben zwar keinen unmittelbaren Bezug zum Priestertum, aber was für den einfachen Gläubigen Ideal ist, sollte besonders für den Priester gelten, der vor allem durch die Feier der hl. Messe in einer besonderen Beziehung zu Christus steht.

Paulus führt unter den Eigenschaften des Bischofs egkratês, enthaltsam auf (Tit 1,8), worunter im Vergleich mit 1 Kor 7,9 geschlechtliche Enthaltsamkeit gemeint ist. Auch 1 Tim 3,2 und Tit 1,6 können genannt werden, dort wird verlangt, daß der Bischof „Mann einer Frau" sei, d.h., daß er nur einmal verheiratet war. Eine weitere Ehe wäre ein Zeichen, daß er nicht zur Enthaltsamkeit in der Lage ist.

Diesbezüglich schreibt der hl. Hieronymus in seiner Widerlegung Jovinians, daß der Apostel Paulus in seinem Brief an Titus [Tit 1,6] gesagt habe, ein vorher verheirateter Weihekandidat dürfe nur einmal verheiratet gewesen sein, müsse seine Kinder gut erzogen haben, aber dürfe nicht weitere Kinder zeugen, da er ständig dem Gottesdienst obliegen müsse und nicht nur auf Zeit wie die Priester des AT. Daher gelte für ihn: „wenn immer zu beten ist, dann ist auch immer der Ehe zu entbehren" (I,34 – PL 23,257).

Vor allem hat Christus selbst ehelos gelebt, da er der Bräutigam der ganzen Kirche ist, und darum sollte auch der Priester als Stellvertreter Christi (Lk 10,16; 1 Kor 4,1; 2 Kor 5,20) so leben. Christus umgab sich mit Vorliebe mit jungfräulichen Personen: Josef, Maria, Johannes.

Die Priester im AT mussten während der Tage ihres Altardienstes Enthaltsamkeit üben (vgl. Lev 22,3). Da der Priester stets einen unvergleichlich höheren Altardienst zu verrichten hat, entspricht dem Priestertum des NT die stetige Enthaltsamkeit.

Weitere Aspekte sind: das Opfer des Zölibates, das für die Kirche fruchtbar werden soll; die voll¬ständige Verfügbarkeit des Priesters, das Zeugnis für die Heiligkeit der Kirche und die Schranke für Unberufene.

Die Zölibatspraxis galt zunächst ebenso in der Ostkirche. Ein wichtiger Zeuge hierfür istEpiphanius von Salamis (315-403): „Aus den Reihen der Jungfräulichen ist das Priestertum zumeist zusammengesetzt, oder wenn nicht aus Jungfräulichen, dann gewiss aus Mönchen; wenn aber aus den Orden der Mönche sich Geeignete zur Verwaltung jenes Dienstes nicht finden, so pflegen die Priester aus denen gewählt zu werden, welche sich ihrer Frauen enthalten oder nach bloß einer Ehe im Witwerstand sind" (Expositio fidei 21, PG 42,824). Er beklagt jedoch: „Aber an manchen Orten noch zeugen die Priester, Diakone und Hypodiakone Kinder. Ich antworte, daß dies nicht gemäß dem Kanon (...) geschieht, sondern wegen der Lässigkeit der Menschen" (Haer. 59,4 PG 41,1024).

Während im Westen immer wieder Regionalsynoden und Päpste eingegriffen haben, um die Verpflichtung einzuschärfen, zu überwachen und zu sanktionieren, hat diese ständige Sorge im Osten weitgehend gefehlt. Es fehlte eine anerkannte und wirksame Universalautorität, die in der Lage gewesen wäre, die Disziplin zu vereinheitlichen und wirksame Sanktionen durchzusetzen.[iv] So musste die Zölibatsverpflichtung im Osten der menschlichen Schwäche Tribut zollen. BeimTrullanum II (691) hat man sich dann der allgemein eingerissenen Praxis gebeugt, den Priestern und Klerikern die Fortsetzung einer vorher geschlossenen Ehe zu gestatten. Zur Begründung berief man sich auf die Kanones der Afrikanischen Kirche, obwohl diese doch das Gegenteil aussagten und die Enthaltsamkeit für alle höheren Kleriker unter Berufungen auf die Apostel forderten. Man fälschte daher den Text, was ungefährlich war, da damals im Osten nur wenige Latein verstanden.[v]

Es ist nicht ganz einleuchtend, wieso man daran festhält, daß der Kleriker nur ein¬mal verheiratet gewesen sein und nach der Weihe nicht mehr heiraten darf, wenn doch der Ehe-gebrauch mit dem Priestertum gut vereinbar ist. Diese Bestimmungen haben ihren guten Sinn nur, wenn ein Priester enthaltsam sein muß. Die Praxis bei Bischöfen ist wie ein Rest der alten Tradition. Ansonsten wird aber das neutestamentliche Priestertum behandelt wie das Priestertum des AT, das doch nur Schatten war.

Seit der tägliche Altardienst auch in der östlichen Kirche üblich wurde (aber nicht überall), ist die Praxis der Ostkirche eigentlich ein Zurückschreiten hinter alttestamentliche Vorschriften.[vi]

Die östliche Praxis wurde von Benedikt XIV. durch die Konstitution Etsi pastoralis vom 26.5.1742 als für Unierte, d.h. für solche Gruppen, die aus dem östlichen Schisma zur Kirche zurückgekehrt waren, nicht verboten erklärt, d.h. man duldet sie. Für die ständigen Diakone gilt seit demVatikanum II (DH 4155) dieselbe Praxis in der westlichen Kirche, was ein klares Abrücken von der bisherigen Zölibatsdisziplin bedeutet.

Wenn Papst Franziskus sagt, daß es sich beim Zölibat nicht um ein Glaubensdogma handelt, dann hat er recht, da man sonst die östliche Praxis bei den Unierten nicht dulden dürfte. Es gibt indessen Gesetze in der Kirche, die für diese derartig fundamental sind, daß auch ein Papst nicht die Vollmacht hat, sie grundsätzlich umzustoßen. Jedenfalls weigerten sich die Väter des Konzils von Trient, die Praxis in der lateinischen Kirche als reines Kirchengesetz zu erklären.[vii]

Gerade unserer Zeit, die „im Sinnensumpf versinkt", ist das Zeugnis der priesterlichen Ehelosigkeit um Gottes willen notwendig, um Zeugnis zu geben für die Kraft der Gnade und Liebe Gottes und um die Menschen vom Sinnenhaften zum Himmlischen zu führen. Eine Abschaffung des Zölibates bedeutete hingegen einen massiven Fortschritt der Säkularisierung in der Kirche, was die Kirchenkrise weiter verschärfen würde.

Es ist das große Verdienst des verstorbenen Kardinal Alfons Maria Stickler, die Geschichte des Zölibates und seine theologischen Grundlagen wissenschaftlich präzise und überzeugend in dem Buch "Der Klerikerzölibat" dargelegt zu haben. Dieses Werk war einige Zeit vergriffen, ist aber nun wieder in einer Neuauflage erhältlich.

In dieser schweren Zeit für die Kirche ist das Gebet für den Hl. Vater und die Kirche äußerst wichtig, da rein menschliches Bemühen um die Gesundung der Kirche vor einem aussichtslosen Unterfangen stünde. Der Herr mahnt daher im Evangelium „Bittet, und ihr werdet empfangen, klopfet an, und es wird euch aufgetan werden".

Anmerkungen:

[i]   STICKLER, Alfons Maria Kardinal: Der Klerikerzölibat : Seine Entwicklungsgeschichte und seine theologischen Grundlagen. 2. Aufl., Abensberg: Maria aktuell, 1994, S. 23.

[ii]   STICKLER, a.a.O., S. 25 f.

[iii]   STICKLER, a.a.O., S. 19 ff..

[iv]   STICKLER, a.a.O., S. 48 ff.

[v]   Ebda., S. 54 ff.

[vi]   Ebda., S. 57 f.

[vii]   STICKLER, a.a.O., S. 39.