Apostolat: Fünf Herausforderungen

Quelle: Distrikt Deutschland

Pater Stefan Pfluger

Im Mitteilungsblatts vom August 2023 wurde geschildert, wie der Tagesablauf eines Priesters aussieht. Hier sollen nun Hinweise gegeben werden, welche Herausforderungen ein Priester vermehrt im Blick haben muss. Bei der letzten Versammlung der Distrikt- und Seminaroberen im Juli 2023, die von Pater Davide Pagliarani einberufen wurde, sind fünf Punkte, die hier angeschnitten werden, auch beraten worden.

1) Die Sorge für das eigene geistliche Leben

Die Nächstenliebe setzt eine wahre Liebe zu sich selbst voraus: Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst (Mk 12, 31). Die erste Sorge des Priesters muss seine eigene Heiligung sein, er selbst muss immer mehr in seiner Beziehung zu Gott wachsen. Der Priester ist ja nur Werkzeug Gottes, weshalb gilt: Er ist umso wirksamer, je heiliger er ist. Unser verehrter Gründer, Erzbischof Marcel Lefebvre wies ohne Unterlass auf diese grundlegende Wahrheit hin:

Der Priester ist in der Tat an erster Stelle Priester eines Priestertums des Gebetes, des Lobes und der Anbetung. Erst an zweiter Stelle Priester eines Priestertums der Heiligung seiner Seele und der Seele seines Nächsten, in besonderer Weise jener Personen, zu denen er gesandt ist.[1]

Es ist eine ernste Sorge für die Oberen [...], bisweilen feststellen zu müssen, dass manche Mitglieder, insbesondere Priester, vom Eifer für das äußere Apostolat verzehrt werden und schließlich dahin gelangen, den Eifer für das Gebetsapostolat, welches der Sauerteig und die Quelle des äußeren Apostolates ist, aufzugeben. Das Apostolat der Innerlichkeit und des Gebetes ist das wesentliche Apostolat. Es verbindet mit unserem Herrn, der einzigen Quelle der Erlösungsgnaden. Das äußere Apostolat (Katechismusunterricht, Versammlungen, Vorträge usw.) wird ohne dieses Hauptapostolat, das uns in ständiger Vereinigung mit unserem Herrn erhält, schnell unfruchtbar.

Ein Eifer, der das Gleichgewicht und die Verbindung zwischen diesen beiden Apostolaten nicht bewahrt, ist ein falscher Eifer, ein menschlicher Eifer, der nicht mehr demütig ist und der sich auf die menschlichen Talente und Fähigkeiten stützt.[2]

2) Die Sorge für das Gemeinschaftsleben

Um in einer Atmosphäre leben zu können, welche das geistliche Leben erleichtert und fördert, verlangt unser verehrter Gründer von den Mitgliedern der Priesterbruderschaft das Gemeinschaftsleben: 

Betrachtet man die unerträgliche Atmosphäre dieser Welt in vollem geistigem und moralischem Niedergang, dann werden die Priester, wenn sie nicht in einer Atmosphäre leben, wo man die Luft des Glaubens, des Gebetes und der brüderlichen Nächstenliebe atmet, nicht durchhalten und ihr Apostolat wird nicht fruchtbar sein; deshalb die herausragende Bedeutung der Einrichtung der Priorate, wo die Priester ein Gemeinschaftsleben führen.[3]

Wir bestehen sehr auf dem Gemeinschaftsleben. Es ist [...] ein mächtiges und ein sehr wirksames Mittel, um die Kämpfer im Eifer und der Frömmigkeit zu erhalten, in der Regelmäßigkeit und der Vereinigung mit Gott und sie besser zu rüsten, um gegen alle Schwierigkeiten und Versuchungen zu kämpfen.[4]

Wie unerlässlich das Gemeinschaftsleben ist, zeigen die Berichte vieler Priesterfreunde im diözesanen Dienst, die sehr unter Einsamkeit und Mangel an Unterstützung leiden.

Selbstverständlich erfordert – wie jede Familie zeigt – ein Gemeinschaftsleben Zeit und Einsatz. Nur, wenn die einzelnen Mitglieder sich investieren, eine liebevolle Hilfsbereitschaft an den Tag legen, sich füreinander interessieren und Zeit nehmen, wird die Gemeinschaft zur Kraftquelle, die sie sein soll.

3) Opfergeist und Studium gegen Weltgeist

Auch im Leben des Priesters besteht die Gefahr einer gewissen Routine und Gewohnheit im Alltag, welche die anfängliche Begeisterung trübt und zu einer Art „Beamtenmentalität“ führen kann. Das wiederum wäre sehr zum Schaden der Seelen, denn sie möchten nicht nur belehrt, sondern durch das Beispiel des Priesters auch motiviert und mitgerissen werden. Deshalb muss dieser dem einschläfernden Einerlei des Alltags bewusste Großherzigkeit entgegensetzen, sich immer wieder die Größe seines Amtes vor Augen halten und sich die Freude Christi zu eigen machen. So kann er ansteckende Freude und Nächstenliebe ausstrahlen und auch in Mühsal und Schwierigkeiten die priesterliche Geduld und Güte bewahren, die den Seelen hilft, sich zu öffnen.

Gleichzeitig bleiben auch die Priester nicht unberührt vom modernen Leben, das mit seinem unumschränkten Individualismus, seinem raffinierten Materialismus und der totalen Vernetzung ein immer aggressiveres Hindernis darstellt für das geistliche Leben, für das soziale Leben und für das intellektuelle Leben des Priesters. Der Intellekt darf nicht überladen werden mit aktuellen, aber banalen Informationen, sondern muss Nahrung erhalten, die ihn zufriedenstellt, Wahrheiten, in denen er zur Ruhe kommt. Wenn der Priester daher nicht bewusst das Studium der Theologie (Lehre und Moral) und anderer Interessensbereiche pflegt, verflacht sein Geist. Der Vorrat, aus dem er in Predigt und Unterricht schöpfen kann, wird ärmer und ärmer, die Seelen hungern weiter...

4) Die Sorge um die „neuen“ Gläubigen

In den letzten Jahren erleben wir einen großen Zustrom von verunsicherten und ratlosen Katholiken in unsere Kapellen. Oft erfolgte der Erstkontakt mit unserem Apostolat über das Internet. Es handelt sich um suchende Seelen, die nicht selten schon eine lange Odyssee hinter sich haben. Nicht selten hatten sie sich, enttäuscht über spirituelle oder liturgische Mängel oder Skandale von der Kirche abgewendet, bis sie voller Glück den Schatz der überlieferten heiligen Messe und des unverfälschten katholischen Glaubens entdecken und bemerken, dass das, wovon sie sich abgewendet hatten, nicht die Kirche war, sondern das Zerrbild, das man ihnen präsentiert hatte. Nicht selten erleben wir Gläubige, die obwohl als „Katholiken“ aufgewachsen, noch nie von der Beichte oder von der Wesensverwandlung in der Eucharistie gehört haben!

Diese Menschen haben zwar große religiöse Defizite, sowohl was die Kenntnis des Glaubens als auch was das katholische Leben im Alltag betrifft. Gleichzeitig verspüren Sie aber einen großen Durst, all das nachzuholen, was ihnen bisher vorenthalten wurde. Es ist eine riesige Herausforderung für die Priester, all diesen Gläubigen mit so unterschiedlichem Horizont und Wissensstand gerecht zu werden. Am besten wäre für jeden von ihnen ein angepasster Erwachsenenkatechismus, möglichst persönlich und nicht nur online! Viele dieser neuen Gläubigen sind zwar erschüttert durch gewisse persönlich erlebte Missstände in der Kirche, aber sie sind sich nicht bewusst, durch welche Gründe die Kirchenkrise hervorgerufen wurde und wie sehr sie schon die Fundamente der Kirche angreift. Sie brauchen entsprechende Informationen und gute Lektüre. Ich empfehle sehr Pater Matthias Gaudrons Katholischer Katechismus der Kirchlichen Krise, der gerade in neuer auflage erschienen ist.

Weitere Aufgaben bestehen darin, diese „neuen“ Gläubigen zur Teilnahme an Exerzitien einzuladen, damit sie ihr Leben ganz im Blick Gottes sehen und auf Gott hin ausrichten. Sie müssen geistlich und pastoral angeleitet werden, gerade auch durch eine regelmäßige Beichtpraxis. Sie sollten überdies jemanden als vertrauenswürdigen „Schutzengel“ an der Seite haben, der den persönlichen Kontakt zu ihnen hält und dazu beiträgt, dass sie sich leichter in unseren Kapellen- bzw. Prioratsgemeinden integrieren und sich mit dem Werk und Anliegen der Priesterbruderschaft identifizieren können. Wünschenswert wären auch Werke der Hilfsbereitschaft, um Menschen guten Willens zusammenzubringen und sie in das Prioratsleben einzubinden.

5) Die Sorge um die Erziehung der Jugend

Der Weltgeist dringt sehr stark in die Familien ein – alle sind mehr oder weniger betroffen. Dieser Einfluss scheint besonders seit dem Aufkommen des Smartphones zuzunehmen: Das schier unbeschränkte Angebot des Internets in Kombination mit der ständigen Verfügbarkeit durch das Gerät in der Tasche (oder Hand) verleitet zu intensiverer Nutzung und schafft so eine pathologische Abhängigkeit von Bildschirmen. Dieser Einfluss schädigt das katholische Familienleben tiefgreifend betrifft alle Bereiche des menschlichen Lebens:

Intellektuelles Leben: Der Mensch verliert die Fähigkeit, sich zu konzentrieren, zu analysieren und zu urteilen. Die Neugier verhindert den Durst nach tiefen Wahrheiten.

  • Moralisches Leben: Der Willen des Menschen wird dramatisch geschwächt, Bequemlichkeit, Unbeständigkeit und Faulheit gewinnen die Überhand. Ein daraus resultierender Mangel an Opfergeist öffnet Tür und Tor für die Unreinheit.
  • Soziales Leben: Individualismus und Unabhängigkeitsdrang werden propagiert. Der Mensch verliert den Sinn für das Gemeinwohl, für die Verantwortung und für die Autorität.
  • Realitätssinn: Der Mensch hat zu wenig direkten Bezug zum realen Leben. Dieses begeistert ihn nicht mehr. Das führt zu einer krampfhaften Sucht nach Nervenkitzel und Unterhaltung. Endlose Film-Serien, Bildschirmsucht oder sogar Unmoral und Drogen sind die Folge.
  • Nur im gegenseitigen Austausch zwischen Eltern und Seelsorger und nur, indem sie zusammen am gleichen Strang ziehen, ist es möglich, die Kinder und Jugendlichen vor diesen Gefahren zu bewahren.

Das beginnt mit dem Katechismus für die Kinder. Viele Priester sehen sich mit dem Druck konfrontiert, nicht nur Katechismus für die Kinder verschiedener Altersstufen anzubieten, sondern sogar mehrere parallele Kurse für die Kinder derselben Altersgruppe, weil kein Termin allen (Eltern) zusagt. Manchmal erhält der Priester die Mitteilung, die Kinder würden statt des Unterrichts im Priorat den Fernkatechismus der Schwestern der Bruderschaft mitmachen. Nur – wenn man später bei den Eltern nachfrägt, erfährt man, dass das betreffende Kind zwar angemeldet wurde, dass die Unterlagen und Aufgaben aber schon lange nicht mehr eingesandt werden... „Lasset die Kinder zu mir kommen und wehret es ihnen nicht ….“ (Mt 19,14)

Anmerkungen

[1] Hirtenbrief vom 26.10.1958 in: Hirtenbriefe 1948-1968, Sarto Verlag, 2012, S. 108

[2] „Der Geist der FSSPX“, 4. Artikel, 14. Januar 1982, S. 65 f.

[3] Einkehrtag in Saint-Nicolas-du-Chardonnet, 10. Mai 1988.

[4] Priesterexerzitien, Ecône, 9. September 1989